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  • AutorenbildOlga Werbitzky

Alpha-Theorie veraltet & widerlegt

Aktualisiert: 23. Apr.




"Der Hund muss als letzter durch die Türe geht - denn 'der Alpha' geht immer zuerst."


"Der Hund bekommt als letzter was zu essen - denn "der Alpha" isst immer zuerst."


"Der Hund muss immer aus dem Weg gehen, wenn ein Mensch vorbei will, auch wenn er gerade tief und fest schläft - weil der "Untergebene" immer "dem Alpha" Platz zu machen hat."


"Ein Hund darf nie ein Zerrspiel gewinnen - weil immer "der Alpha" gewinnt."


"Der Hund darf keinesfalls im Bett/auf dem Sofa schlafen - denn der "Alpha" teilt sein Lager nie mit Rangniederen und beansprucht die höchst gelegene Stelle immer für sich."


Kommen Dir solche und ähnliche Aussagen bekannt vor?


Die Angst, der Hund könne versuchen sich über den Menschen zu stellen, sitzt tief. Sobald er sich nicht nach den Vorstellungen eines braven, verträglichen und anspruchslosen Vierbeiners verhält, wird er als dominant bezeichnet. Um diese "Dominanz" im Keim zu ersticken, kommen o.g. Handlungsanweisungen ins Spiel.


Doch was hat es mit der Dominanz auf sich?


Über die Definition streitet sich die Wissenschaft. Auf Wikipedia heißt es:

"In der Psychologie spricht man von Dominanzverhalten, wenn ein Individuum das Verhalten eines oder mehrerer anderer Individuen beherrschen bzw. kontrollieren möchte."


Die Sorge um dieses Verhalten bei Hunden gründet auf der Alpha-Theorie, die eine klare Hierarchie mit einem Alphatier beschreibt, das seinen Status gewaltsam bewahrt.


Nun gibt es umfangreiche Untersuchungen und ausführliche Beschreibungen, weshalb die Alpha-Theorie NICHT für unsere Hunde gilt. Da sich das Thema nach wie vor hartnäckig in den Köpfen der Menschen hält, findest Du hier die wichtigsten Punkte zusammengefasst:


Inhalte:




 

1. Der Ursprung der Alpha-Theorie


Früher ging man davon aus, dass die Alpha-Theorie die allgemeingültige soziale Ordnung unter Tieren beschreibt. Die Basis für dieses Denken bildeten Untersuchungen zur Rangordnung von vor über 200 Jahren:


1802 erforschte Pierre Huber erstmals Rangordnungen von Hummeln. Dieses Modell wurde dann 1922 von Schjelderupp-Ebbe auf Wirbeltiere übertragen bzw. bei Hühnern (1922) und Tauben (1927) als Hackordnung bezeichnet.

Erste Untersuchung an hundeartigen nahm Rudolf Schenkel am Verhalten der Wölfe im Zoo Basel vor und seine Beobachtungen schienen auch hier eine Rangordnung zu bestätigen (1948).


Im Jahr 1970 folgte dann eine Studie, die die größte Wirkung auf die heutige Arbeit mit Hunden haben sollte: eine Studie zum Verhalten von Wölfen von Lucyan David Mech.

Dabei wurden Wölfe aus verschiedenen Zoos in einem neuen Gehege platziert, das bewusst zu klein gewählt wurde, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, sich aus dem Weg zu gehen.

Man stellte fest, dass zu Beginn häufiges Aggressionsverhalten auftrat, welches in einer fixen Rangordnung mit Alphatier, Sub-Alpha als auch «Prügelknaben» mündete.


Aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen Wolf und Hund nahm man an, dass auch Hunde eine solche Hierarchie mit entsprechendem Verhalten des Rudelführers benötigen.


Die Alpha-Theorie für Hunde war geboren.


 

2. Die Widerlegung


Es war Mech selbst, der kurze Zeit nach seiner folgenschweren Arbeit die Alphatheorie revidierte (1974): Nach Beobachtungen an freilebenden Wölfen kam er zum Schluss, dass es keine Belege für eine Hackordnung gibt. Vielmehr beobachtete er Familienverbände, deren Kontakte untereinander meist soziopositiver Natur waren, in denen eine natürliche Eltern-Kind-Beziehung bestand und kaum Aggression gezeigt wurde.


Er schreibt auf seiner Website:


"Das Konzept des Alphawolfs ist in der populären Wolfsliteratur fest verankert, was zumindest teilweise auf mein Buch "The Wolf: Ecology and Behavior of an Endangered Species" (Der Wolf: Ökologie und Verhalten einer vom Aussterben bedrohten Art) zurückzuführen ist, das 1968 geschrieben, 1970 veröffentlicht, 1981 als Taschenbuch neu aufgelegt wurde und bis 2022 im Druck ist. Obwohl die meisten Informationen in diesem Buch immer noch zutreffend sind, ist vieles veraltet. In den letzten 40 Jahren haben wir mehr über Wölfe gelernt als in der gesamten früheren Geschichte.


Eine der überholten Informationen ist das Konzept des Alphawolfs. "Alpha" bedeutet, mit anderen zu konkurrieren und durch den Sieg in einem Wettbewerb oder Kampf zum Platzhirsch zu werden. Die meisten Wölfe, die ein Rudel anführen, haben ihre Position jedoch einfach dadurch erreicht, dass sie sich gepaart und Welpen gezeugt haben, die dann zu ihrem Rudel wurden. Mit anderen Worten, sie sind lediglich Erzeuger oder Eltern, (...)"




Mech verglich als Resultat die in Gehegen untersuchten Wölfen mit Menschen in Gefängnissen, für die andere soziale Regeln gelten als für jene in Freiheit.


In der Folge wurde die Annahme, dass jede Tierart als soziale Struktur eine Hackordnung hat, mehrfach widerlegt. Sei es bei anderen Wolfsverbänden (Peterson, 1977), Schimpansen (de Waal, 1978) oder gar Kängurus (Grant, 1977). Und immer mehr Arbeiten kamen zum Schluss, dass Gefangenschaft eine Hackordnung verursacht und es kein natürliches Verhalten ist (u. a. Erwin et al., 1976; Deag, 1977; Boice, 1981).


Heute weiß man: Eine Hackordnung bildet sich in einer Gruppe dann aus, wenn Tiere unter extremem sozialem Stress leiden (Vasconcellos, Ades & Kotrschal, 2012).


 

3. Bezug zum heutigen Hund


Wölfe leben also in Familienverbänden aus Elterntieren und Nachwusch - einem Rudel. Dabei übernehmen die Elterntiere automatisch die Führung.


Es gibt zwar Wildhunde, die ebenfalls im Familienverband leben, doch bilden die Hunde, die wir halten, in der Regel untereinander keine Rudel. Und erst recht nicht mit dem Menschen. Der Mensch bildet mit dem Hund vielmehr einen Sozialverband: Soziale Lebewesen leben in einer Gemeinschaft. Der Hund ist dabei die einzige Spezies der Welt, die den Menschen anderen Artgenossen vorzieht.


Wir sind also die wichtigste Bezugsperson für unseren Hund. Dabei müssen wir weder der "Alpha" sein, noch unseren Hund dominieren. Wir müssen unsere Führungskraft auch nicht auf andere Weise mit Stärke oder Durchsetzungskraft beweisen.


Vielmehr sollten wir unseren Hund in der menschlichen Welt leiten, ihm die von Menschen gewünschten, doch für ihn unnatürlichen Verhaltensweisen geduldig und respektvoll beibringen, dabei wichtige Grenzen fair etablieren und ihn in seiner Entwicklung unterstützen, wo es nur geht.



 

Quellen:



Beiträge zur Sozialpsychologie des Haushuhns [Observation on the social psychology of domestic fowls], Schjelderup-Ebbe, T. (1922), In: Zeitschrift für Psychologie. Band 88, 1922, S. 225–252





Alpha Status, Dominance, and Division of Labor in Wolf Packs, 1999 - by L. David Mech


Leadership in Wolf, Canis lupus, Packs, 2000 - by L. David Mech



 

Weitere Informationen:


Wolf packs don't actually have alpha males and alpha females, the idea is based on a misunderstanding, 26.04.2021 by by Elise Kjørstad, ScienceNordic

Alphatheorie widerlegt: Hunde brauchen keinen menschlichen Rudelführer


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