Jack ist ein unsicherer, nein, sogar ein Angsthund. Er hat große Panik vor Menschen und ist zudem nicht stubenrein. So wurde er mir zumindest am Telefon beschrieben.
Jack ist ein 1-jähriger, unkastrierter Husky-Rüde, der 2 Tage zuvor spontan übernommen wurde, damit er nicht ins Tierheim muss - doch der aktuelle Halter ist überfordert. Und wendet sich an mich, mit Bitte um Vermittlung. Nein, Training will er nicht, der Hund wird nicht bleiben. Nun, ich bin keine Tiervermittlung, aber helfe wo ich nur kann.
Für eine Notfallberatung bin ich knapp 2h nach dem Anruf vor Ort.
Jack ist sehr schreckhaft, als ich in die kleine Wohnung komme, jede schnelle Bewegung lässt ihn zusammenzucken und die Flucht ergreifen. Im Hintergrund läuft ein Staubsaugerroboter, der ihn zusätzlich erschreckt.
Doch zum Sohn der Familie hat er Vertrauen und sucht Nähe. Beim Vater, der Person, die mich angerufen hat, hält er Abstand.
Also, was tun?
Ich gebe Jack Zeit, gehe in die Hocke, positioniere mich seitlich und bewege vorallem meine Hände nicht - denn das macht ihm sichtlich Angst. Kaum bin ich in dieser Position, kommt er vorsichtig, doch sehr neugierig näher und beschnuppert mich.
Der Staubsauger scheppert, Jack verschwindet, ich bitte das Gerät auszuschalten.
Direkt kommt Jack wieder hervor, neugierig, interessiert.
Langsam kann ich meine Hände bewegen und ihm Leckerchen zuwerfen.
Da ich ihn nach einiger Zeit auch draußen einschätzen möchte, schlage ich einen kurzen Spaziergang vor. Jack geht nur mit dem Sohn.
Kaum draußen ist der Hund völlig gelöst, an der Umwelt interessiert und alles andere als schreckhaft. Er reagiert auf seinen Namen, kennt das Signal Sitz und ich scheine kein Angstauslöser mehr zu sein. Ich gebe dem Jungen einige Tipps für die Handhabung und wir bauen spontan das Markersignal auf. Jack ist sehr aufmerksam, interessiert und lernbegierig.
Zurück in der Wohnung...
...gehöre ich quasi zum Inventar. Ich kann frei laufen, mich bewegen, das alles stört Jack nicht mehr. Er kommt mir immer wieder näher und fordert recht stürmisch zum Spiel auf. Mit Pfoteneinsatz und Körperkontakt - ja an dem Impuls hochzuspringen kann man sicher etwas verändern. Ich freue mich, dass er nun so gelöst ist, wenn auch, er in der Wohnung nicht richtig zur Ruhe kommt.
Nun, was haben wir hier für einen Fall - ist Jack ein unsicherer Hund und ist sein Verhalten "normal"?
Die Fakten:
Jack ist erst seit 2 Tagen in dieser Familie.
Er wurde aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und befindet sich an einem für ihn völlig fremden Ort.
Alle Gerüche und Geräusche sind neu.
Seine bisherigen Bezugspersonen sind weg.
Jack ist 1 Jahr alt und befindet sich mitten in der Pubertät.
Er ist stürmisch und kennt wenige Signale.
Ich erfahre, dass er beim Vorbesitzer vorwiegend in einer Duschkabine gehalten wurde, da dieser Kleinkinder hatte und mit dem Hund nicht zurecht kam.
Ich erfahre, dass er Durchfall hat und sich nachts 1x in der Wohnung gelöst hat. Daher die Bezeichnung "nicht stubenrein".
Ich persönlich empfinde Jack als großartigen, neugierig interessierten und lernbegierigen Hund, der leider schon einige unschöne Dinge erleben musste. Eine gewisse Skepsis vor Fremden ist ihm nicht zu verübeln - er überwindet diese erstaunlich schnell.
Der Hund befindet sich in einer hochstressigen Situation, seine ganze Welt steht Kopf, er ist alleine und sucht sich erfolgreich eine Vertrauensperson.
Physische Reaktionen wie Durchfall sind bei großem Stress völlig normal und haben nichts damit zu tun, dass er nicht stubenrein wäre. Denn abgesehen davon, behält er gut ein und löst sich außerhalb der Wohnung.
Welche Vermutungen nahe liegen zu den Gründen für sein Verhalten:
Skepsis ggü. Fremden: Möglicherweise hat er schlechte Erfahrungen mit Fremden gemacht. Manche Hunde(rassen) sind grundsätzlich skeptisch, das ist Teil ihres Charakters und völlig legitim.
Angst vor Handbewegungen: Womöglich hat er Gewalt durch Handgreiflichkeiten erfahren.
Schreckhaft bei Geräuschen: Dies kann dem Stress geschuldet sein oder durch Hypersensibiliserung beim Vorbesitzer aufgrund von schlechten Erfahrungen in Kombination mit Lärm zustande kommen.
Jack kommt nicht zur Ruhe: Das ist in einer neuen Umgebung anfänglich völlig normal. Zudem gehört er zu einer Rasse, die großen Bewegungsdrang hat. Die Haltung in der Duschkabine war nicht nur tierschutzwiedrig, sondern bewirkte auch einen hohen Stresspegel. Frust und ein fehlendes Ventil für die Energie, sowie mangelnde Lernerfahrungen hinsichtlich Selbstregulation können die Folge sein.
Insgesamt würde ich Jack weder als Angsthund, noch als unsicheren Charakter beschreiben. Aufgrund seiner Erfahrungen und Lebensumstände, hat er gewisse Verhaltensweisen erlernt, die mit einem gezielten, schrittweisen Training verändert werden können.
Nach der Notfallberatung erklärte sich der Halter dazu bereit, einzelne Trainingseinheiten mit Jack wahrzunehmen. Die Entscheidung für eine Abgabe blieb jedoch bestehen und Jack fand recht schnell ein neues Zuhause.
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